
Gestern schwelgten wir wieder mal in Kindheitserinnerungen: ach ja, damals im Münsterland. Mein Bruder erinnerte sich wehmütig eines Sommertags, an dem unsere Tante ihm und ihren Kindern eine ganz besondere Freude machen wollte: einen Besuch auf einem echten Bauernhof mit vielen Attraktionen für Jung und Alt. Wer aus der Gegend kommt, der ahnt es vielleicht schon: die Rede ist vom berühmt-berüchtigten Prickingshof bei Haltern, auch bekannt als EWG-Musterhof. Besitzer des Unternehmens war Ewald Döpper, besser bekannt als 'Bauer Ewald'. Damals hieß die EG noch EWG, doch im Namen des Hofs stand das Kürzel für 'Ewald Wird Gewinnen'. Dazu versprach der Bauer: 'Sowas hat die Welt noch nicht gesehen!'
Es war ein herrlicher Sonntag, wie geschaffen für einen Familienausflug. Unsere kleine Kusine freute sich auf das im Prospekt versprochene Ponyreiten und den Streichelzoo, die älteren Kinder waren gespannt auf die nicht ganz so klar beschriebenen 'Attraktionen', die in Aussicht gestellt waren.
Schon bei der Ankunft begann das Staunen: Statt saftiger Weiden und wogender Felder, wie man das bei einem Muster-Bauernhof erwartet, ringsum karger, zertretener Boden, auf dem kaum ein Hälmchen wuchs. Beherrscht wurde der Hof von den gewöhnlichen langgezogenen Stallungen mit dicht zusammengepferchten Schweinen und anderem Getier. Sollte das alles gewesen sein! Oh nein, da hatte man den Bauern unterschätzt.
Hier und anderswo waren gleichmäßig verteilt kleine Kästen angebracht, über denen Schilder mit Aufschriften in Frakturschrift prangten. Zunächst hatte die Ausflugsgesellschaft diese nicht weiter beachtet, da sie erst einmal die Attraktionen aufsuchen wollte. Nachdem keine zu finden waren, schaute man doch einmal genauer hin, um festzustellen: dies waren die Attraktionen. Und was für welche! Jeder Kasten barg ein Wunder aus dem bunten Leben auf dem EWG-Musterhof. Alles, was man tun musste, um daran teilzuhaben, war, eine Mark in den jeweiligen Kasten zu werfen und dann durch das dahinter angebrachte Guckloch zu schauen. Da öffnete sich beispielsweise für einige Sekunden ein Vorhang und gab den Blick auf das bäuerliche Schlafzimmer frei, zur Zeit des Mittagsschläfchens sogar inclusive Bauer. Hinter einem anderen Guckloch konnte Bauer Ewald auf Film beim Singen eines Erntelieds bewundert werden. Am denkwürdigsten blieb für meinen Bruder ein Schild, das verkündete, dass man hinter dem dazugehörigen Guckloch dem Deckhengst Adonis bei der Arbeit zuschauen könne. Natürlich ebenfalls auf Film - anderes hätte selbst Adonis' gewaltige Lenden überfordert. Dieses Guckloch gehörte fraglos zu den bestbesuchten.

Die Sprüche waren von Bauer Ewald selbst geschaffen. Für einen kleinen Eindruck hier einige Kostproben:
Das größte Wunderwerk der Welt
hat Bauer Ewald hier erstellt.
Ein Bauer muß zum Bauern geboren sein,
er kann nie dazu gemacht werden.
Jedermann muß Plumpsklos benutzen,
denn Besucher und Kunden auch sollen wissen:
so wurde seit Menschengedenken auf unserem Bauernhof geschissen.
O Prickingshof, o Prickingshof, wie groß sind deine Schnitzel,
die isst so schnell noch keiner weg,
die sind so groß wie'n Lokusdeck.
Richtig, Deck. Ohne -el.
Nun kam der Streichelzoo. Er beherbergte folgendes Inventar: ein kleines Kabuff mit einer Glocke auf dem Dach auf einem graslosen Stück Brachland, des weiteren eine ausgemergelte Ziege. Und wieder den unvermeidlichen Kasten für die Mark, diesmal mit der Aufschrift:
Wenn die Glock' erklingt, die Ziege auf das Dache springt
(oder so ähnlich). Warf man die Mark ein, so wurde oben auf dem Dach der Hütte der Läute-Mechanismus in Gang gesetzt, und zugleich fiel aus einer Klappe ein wenig Futter. Die halbverhungerte Ziege sprang gierig hinauf und machte sich über das Futter her. Ein Wunder! (Wir spekulieren, dass Bauer Ewald mehrere solcher Ziegen besaß, die reihum einige Tage Hunger schieben mussten, bis sie auf die Koppel des Unheils geschickt wurden, um dann kurz vor einem erbärmlichen Hungertod ausgewechselt zu werden. Jedenfalls hat keiner von uns von Toten gehört.)
Die kleine Kusine war jetzt den Tränen nahe. Doch meine Tante und Bauer Ewald hatten ja noch einen Trumpf im Ärmel: das Ponyreiten! Man begab sich also hoffnungsvoll dorthin. Die Ponyreitbahn bestand in einer kleinen kreisförmigen Schienenanlage, auf der einige armselige Holzpferde ihre trostlosen Runden drehten. Dies war der Punkt, an dem die Kusine endgültig die Fassung verlor und in Tränen ausbrach. Auch die anderen hatten genug gesehen.
Noch heute, lange nach Bauer Ewalds Tod, glänzt der Prickingshof durch Massentierhaltung, den Besuchern buchstäblich schmackhaft gemacht durch riesige Schnitzel, die sogar auf chefkoch.de (ob der reinen Größe) lobend erwähnt werden. Wir meinen: ohne Bauer Ewald ist auch die schönste Massentierhaltung einfach nicht dasselbe. Wohl bekomm's!
